Die meisten Kanzleien driften führungslos durch den Kanzleialltag. Die wenigsten Rechtsanwälte haben Führung je gelernt oder sich damit beschäftigt.
Irgendwann war man plötzlich Rechtsanwalt und bei entsprechendem Erfolg kamen auch sukzessive Mitarbeiter ins Team. Manche Kollegen führen intuitiv ganz gut, bei anderen führt das Verhalten des Kanzleiinhabers eher zum Haare ausreißen. Das Ergebnis fehlender oder schlechter Führung ist eine schlechtere Team-Performance, bedrückende Stimmung, unnötige Mitarbeiterfluktuation oder sogar mehr Krankenstände.
Fehlende Führung
Eine Kanzlei wird nicht geführt. Geführt werden immer nur Menschen. Voraussetzung für Führung ist, dass jemand bereit ist, auch die Führung zu übernehmen. Einigen Kanzleiinhabern ist dies unangenehm. Am liebsten wäre es ihnen, wenn sie sich nur um ihre eigenen Akten kümmern müssten. Der Umgang mit ihrem Team ist für sie eher ein notwendiges Übel. Die Mitarbeiter sollen einfach nur ihren Job machen, denn schließlich werden sie ja dafür bezahlt. Aus einzelnen Kanzleien kennt man dies, wenn die Sekretärin die eigentliche Chefin ist und dem Rest vom Team anschafft, was zu tun ist. Leider funktioniert das nicht. Nur darüber zu jammern, dass man heute keine guten Mitarbeiter mehr findet oder Millennials sowieso nicht arbeiten wollen, hilft wenig. Stimmt die Einstellung oder das Klima nicht, ist es immer ein Ergebnis mangelnder Führung.
Attitude reflects Leadership
Ihre Führungsqualität ist so gut wie die Stimmung, der Zusammenhalt und die Einstellung im Team. Menschen wollen geführt werden. Was niemand will, sind schlechte Chefs oder Vorgesetzte, die ihre Launen an den Mitarbeitern ausleben. Übernimmt niemand die Führungsrolle als Alpha, kommt Unruhe ins Team. Genauso kann ein Team zerrieben werden, wenn bei Anwaltspartnerschaften Grabenkämpfe um den Alpha-Status ausbrechen. Fehlt die Führung, nehmen die Streitereien im Team zu. Kümmert sich der Alpha nicht darum, steigt die Mitarbeiterfluktuation enorm und die Energie der Mitarbeiter fließt statt in das gemeinsame Kanzleiziel in interne Machtkämpfe.
Fördern-Fordern-Matrix
Die von Prof. Winterheller entwickelte Fördern-Fordern-Matrix bildet konkretes Führungsverhalten ab. Nur durch das Fördern und Fordern der Mitarbeiter können diese ihr volles Potenzial ausschöpfen. Einige Chefs fördern gerne und viel und vergessen dabei, auch auf das Einfordern der Leistung und Ergebnisse. (Förderer oder sogar Überförderer). Konflikte stören die gute Stimmung und werden daher gerne vermieden. Förderer tragen sehr zur guten Stimmung im Team bei und sind unterstützend und verständnisvoll. Der Überförderer hält es nicht aus, mal nicht geliebt zu werden. Wird nur gefördert und nicht gefordert, bleiben die Mitarbeiter und die Kanzlei weit unter ihrem Potenzial und es bürgert sich ein gemächliches, träges „dahinvegetieren“ ein. Viele Rechtsanwälte tun sich mit fordern leichter. Was zählt, sind nicht Ausreden, sondern Ergebnisse. Konflikte behindern das Ergebnis und sind deswegen zu unterlassen. „Forderer“ sind die Treibkraft für wirtschaftlichen Erfolg. Wird zu viel gefordert, besteht die Gefahr, dass die Mitarbeiter verbrannt werden (Überforderer). Wird weder gefördert noch gefordert, handelt es sich bei der Führungsperson um einen sogenannten „Haubentaucher“ (in Anlehnung an den Wasservogel, der einfach plötzlich abtaucht und später an ganz anderer Stelle wieder auftaucht).
Wird die ideale Kombination aus Fördern und Fordern gefunden, wird der Vorgesetzte zum „Freund“, der das individuelle Potenzial des Mitarbeiters freilegt und ständig weiterentwickelt. Er weiß, an welcher Stelle er sein Teammitglied mehr fördern oder auch mehr fordern muss. Die Rolle des Alpha ist also nicht etwa Macht auszuüben, sondern das Potenzial seiner Mitarbeiter freizulegen. Gelingt Führung nicht, bleibt der Vorgesetzte immer der Engpass in der Kanzlei, der am Ende des Tages alles selber machen muss. Ohne Führung funktioniert daher kein Kanzleiwachstum.